Mittwoch, 6. Juni 2012

Die Debatte über den Fiskal- und Wachstumspakt droht an den Kernproblemen Europas völlig vorbeizugehen


Die Bundesregierung möchte den Fiskalpakt und den European Stability Mechanism (ESM) im Paket noch vor der Sommerpause durch den Bundestag bringen. Außerdem ist sie jetzt Kritikern im Bund und in Europa, die den Fiskalpakt um eine Wachstumskomponente erweitert wissen wollen, mit einem achtseitigen Konzept für Wachstum in Europa entgegengekommen. Es trägt den Titel "Mehr Wachstum für Europa: Beschäftigung – Investitionen - Innovationen". Darin wird unter anderem vorgeschlagen: (1)
  • das Kapital der Europäischen Investitionsbank (EIB) um zehn Milliarden Euro aufzustocken, damit diese kriselnde Staaten besser mit zinsgünstigen Krediten unterstützen kann;
  • eine Reform der Vergabe von EU-Fördermitteln zwecks effektiverer Förderung unter Krisenbedin-gungen und die Einführung von sogenannten Projektanleihen (Projektbonds);
  • Umwidmung von EU-Geldern für den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit und Umlenkung von Geldern aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) in den Ausbau der Aus- und Weiterbildung in Krisenländern.
Vor allem heißt es in dem Papier, dass dauerhaftes Wachstum weder über öffentliche Ausgabenprogramme noch über den Wettbewerb verzerrende Staatseingriffe oder eine zu expansive Geldpolitik erkauft werden kann. Große Konjunkturprogramme werden deswegen abgelehnt. Am besten würden die Wachstumskräfte stattdessen durch Strukturreformen gefördert. (2) Das heißt, die Bundesregierung hält generell Reformen im Sinne der Verbes-serung und Kostensenkung für die Wirtschaft in den Krisenländern für erforderlich, also unter anderem Arbeits-marktreformen (z. B. Flexibilisierung der Beschäftigungsverhältnisse, Anhebung des Renteneintrittsalters) (3).
Damit kein Irrtum aufkommt: Dies ist ein klassischer wirtschaftsliberaler Wachstumsansatz.
Es ist insofern auch nachvollziehbar, warum für die Bundesregierung Sparen und Wachstum kein Widerspruch ist. Sparen ist in dieser Sicht mithin eine Konsequenz der Strukturreformen und diese sind wiederum notwendige Voraussetzung für Wachstum. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus die Ursache für die Schulden- und Wachs-tumskrise in den Schuldenstaaten und damit insbesondere auch für die Griechenlands. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble formulierte es in einem Interview folgendermaßen:
„Wir haben es dort mit Anpassungskrisen zu tun (er bezieht sich auf Griechenland, Irland und Portugal, wo die sogenannte Troika (EZB, EU-Kommission, IWF) den Sanierungs-/Sparkurs vereinbart). Wegen einer verfehlten Finanzpolitik und unterlassener Strukturreformen schrumpfen dort jetzt die Sozialprodukte.“ (4)
Das ist eine Fehlinterpretation.
Es ist zwar durchaus richtig, dass die Finanzpolitik in einigen dieser Staaten, das heißt insbesondere in Griechenland und Italien, verfehlt war. In Irland, Portugal und Spanien war sie es aber eindeutig nicht, wie die Tabelle zur Staatsverschuldung zeigt. Vor allem aber sind in den Krisenstaaten die Staatsschulden erst mit Beginn der Finanzmarktkrise, das heißt nach der Lehman-Pleite im September 2008, in die Höhe geschossen und zwar:
  1. infolge der durch die Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise verursachten direkten und indirekten Kosten (Bankenrettung, Konjunkturprogramme bzw. Wirtschaftseinbruch und Arbeitslosigkeit) sowie später auch
  2. aufgrund der verfolgten und verfehlten einseitigen drastischen Sparpolitik.
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Es steht so gesehen zu erwarten, dass sich die Debatte über den Fiskalpakt und ergänzende Wachstumsmaß-nahmen in Deutschland sowie auf europäischer Ebene erneut als Schlagabtausch zwischen Befürwortern keynesianisch motivierter Stimulierung und Anhängern eines wirtschaftsliberalen Kurses darstellen wird. Am Ende des politischen Verhandlungsprozesses könnte dann ein grotesker Mix aus Konjunktur- oder allgemein finan-ziellen Förderprogrammen, drastischen Einsparungen (Austeritätspolitik) und die Wirtschaft entlastenden bzw. „befreienden“ Strukturreformen stehen, der uns und den Finanzmärkten gewiss als neue, wirksame Wunderwaffe gegen die europäische Schulden- und Wachstumskrise verkauft werden wird, aber niemanden überzeugen kann.
Aus gutem Grund nicht.
Denn eine gründliche, undogmatische und um die Fehler der althergebrachten ökonomischen Erklä-rungsansätze bereinigte Ursachenanalyse hat man sich in dem Glauben, man kenne die Probleme doch längst, wieder einmal erspart. Die oben zitierte Aussage von Herrn Schäuble ist dafür nur ein Beispiel. Die zornerfüllten Worte der IWF-Chefin Christine Lagarde, die Griechen sollten sich selbst helfen und endlich ihre Steuern zahlen (5), sind ein weiteres Beispiel dafür. Denn ihre Aussage zeigt, dass sie die bestens dokumentierte unablässige Verschlechterung der wirtschaftlichen und finanziellen Lage Griechenlands nicht als Zeichen wenigstens der Unwirksamkeit des wirtschaftsliberalen Sanierungskonzeptes des IWF zu interpretieren bereit ist. Dass sie eine falsche, dem „Patienten“ schadende „Medizin“ anwendet, wird sie schon gar nicht eingestehen wollen.
Darüber hinaus werden die Krisen in Griechenland, Irland, Portugal und Spanien etc. als Krisen ausschließlich der entsprechenden Länder gesehen. Das europäische Krisenmanagement war von Beginn an entsprechend ausgerichtet und gerade auch deswegen so erfolglos.
Beides muss sich dringend ändern, wenn die Debatte über eine Art kombinierten Fiskal- und Wachstumspakt nicht an den Problemen Europas völlig vorbei gehen soll.
Für eine geordnete und zielgerichtete Debatte über die Bewältigung der europäischen Krise ist die Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Problemfeldern und Problemebenen, auf denen Lösungen gesucht werden müssen, hilfreich. Das soll im Folgenden geschehen, wobei es sich nur um einen Vorschlag handelt und andere Strukturierungen ebenso gut und sinnvoll sein können.

Problemfelder der europäischen Krise

Die europäische Krise ist ein Problemkomplex, der drei Hauptproblemfelder umfasst:
  • Finanzmärkte & Geld- und Währungspolitik
  • Wirtschaft & Wettbewerb
  • Politik & Machtstrukturen
Genau genommen gibt es also drei, allerdings interdependente Krisen. Sie erfordern jeweils spezifische Analysen und Lösungsansätze, die aber wegen der vorhandenen Interdependenzen in ein abgestimmtes Gesamtkonzept eingebunden werden müssen. Es macht beispielsweise keinen Sinn, Maßnahmen für einen fairen, wachstums-tragenden Wettbewerb und eine prosperierende Wirtschaft umzusetzen, wenn an den Finanzmärkten weiterhin Casino-Betrieb vorherrscht, der dies alles konterkariert. Und es macht auch keinen Sinn, im politischen System Änderungen zu implementieren, die Korruption und Vetternwirtschaft ausschließen und den Bürgerwillen besser repräsentieren, wenn die Volkswirtschaft keine Entwicklungsperspektiven hat, weil die Weltmärkte quasi ein geschlossener Club sind.
Die Überwindung der europäischen Krise - nicht nur der Griechenlands – kann letztlich nur gelingen, wenn auf den drei Hauptproblemfeldern die Weichen richtig, das heißt auf Basis einer gründlichen, undogmatischen und um die Fehler der althergebrachten ökonomischen Erklärungsansätze bereinigten Ursachenanalyse und zeitlich richtig abgestimmt gestellt werden.

Problemebenen der europäischen Krise

Auf welchen Ebenen sind die Probleme angesiedelt und zu lösen. Auch hier lassen sich im Wesentlichen drei Ebenen unterscheiden:
1. Ebene: Griechenland hat spezifische eigene Probleme, die es selbst lösen muss (u. a. Korruption, mangelhafte Verwaltungsstrukturen, Steuersystem, verkrustete politische Strukturen). Dasselbe gilt im Prinzip für alle Krisenstaaten.
2. Ebene: Ein zentrales Problem, nämlich das der Überwindung der Schulden- und Wachstumskrise, ist indes überall mehr oder weniger weitgehend dasselbe oder besser gesagt es geht nicht ausschließlich, aber – wie oben dargelegt – im Wesentlichen auf dieselben Ursachen zurück. Und damit meine ich nicht nur die europäischen Krisenstaaten, sondern ebenso insbesondere auch die USA, GB und Japan, die für dieses Problem ja auch noch keine Lösung haben. Für dieses Problem muss auf der europäischen Ebene nach einer Lösung gesucht werden. Im Kern geht es dabei um ein neues europäischen Wachstums- oder besser gesagt Wirtschaftsentwicklungs-modell. (6) (7) Denn die europäische Wachstums- und Schuldenkrise ist Ausdruck des Scheiterns des bisher in Europa verfolgten Wachstumsmodells (siehe Schaubild). (8) (9)
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3. Ebene: Der zweite zentrale Problemkomplex ist die Struktur der globalen Real- und Finanzwirtschaft. Deren Märkte werden meist von nur ein paar sehr großen Konzernen/Banken/Playern dominiert. Und diese saugen, vereinfacht und stark verkürzt ausgedrückt, im Wesentlichen die Gewinne auf allen bedeutenden Märkten ab. Die Gewinnströme werden entsprechend kanalisiert. Daraus resultieren zwei Kernprobleme unserer Zeit und zwar auf globaler Ebene:
3.1. die immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen einer immer kleiner werdenden Gruppe von ewigen Gewinnern (denn effektiven Wettbewerb und Chancen für jeden gibt es in einer derart strukturierten Wirtschaft nicht) und einer immer größer und ärmer werdenden Gruppe von Verlierern; (10)
3.2. die Tatsache, dass unter Freihandelsbedingungen Krisenstaaten wie Griechenland, Portugal, Ungarn etc. keine Chance haben, international wettbewerbsfähig zu werden und so ihre Leistungsbilanzen in Ordnung zu bringen, auch wenn – wie oben angesprochen – Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble vom Gegenteil überzeugt ist und meint, Griechenlands mangelnde Wettbewerbsfähigkeit sei allein auf schlechte Haushalts-führung und unterlassene Strukturreformen (Arbeitsmarkt etc.) zurückzuführen. Dem ist nicht so. (11)
Griechenland kann seine Strukturen reformieren und die Kosten so weit herunterschrauben wie es will, um damit – durch die wirtschaftsliberale Brille gesehen – optimale Bedingungen für die griechische Wirtschaft zu schaffen. International wettbewerbsfähig würde es damit dennoch nicht werden können. Denn gegen die globalen Märkte dominierenden Konzerne wie Intel, General Electric, Volkswagen, JP Morgan usw. haben griechischen Unter-nehmen und Banken keine Chance. Das gilt im Übrigen auch für Portugal, Ungarn und Co. (12)
Das Problem sind also die – zudem stark vernetzten (13) – Strukturen der globalen Märkte, die mithin auch das “Too big to fail”-Problem verursacht haben, aber in erster Linie keinen fairen und effektiven Wettbewerb mehr ermöglichen.
Dies ist das übergreifende Problem, das im globalen Kontext gesehen und gelöst werden muss. Denn es ist ursächlich für persistierende Ungleichgewichte, Krisenanfälligkeit und systemische Instabilität.
Dieses Problem lässt sich nicht geldpolitisch lösen und es ist auch nicht als eines des (gewiss nicht unprob-lematischen) Währungssystems zu verstehen. Es ist ein markt- und wirtschaftsstrukturelles Problem, keinesfalls ein konjunkturelles.

Es bleibt zu hoffen, dass bei den Entscheidern und generell in der Politik ein solchermaßen differenziertes Problembewusstsein heranwächst und anschließend auch die Weitsicht und der Mut, es undogmatisch anzugehen und die für die Problembewältigung verfügbare innovative Kompetenz auszuschöpfen. Mit altem Wein in ständig neuen Schläuchen kommen wir nicht mehr weiter und am Rande eines Abgrunds ist auch kein Raum mehr für eine weitere „Trial-and-error“-Runde.


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1 Kommentar:

  1. Werden alle Vollstreckungstiteln gegen deutsche Staatsverwaltung alle umgesetzt gäbe es kein souveränes Deutschland.

    Deutschland strahlt also nur
    weil geltendes Recht
    systematisch gebrochen wird
    mit harten Methoden
    gegen das Grundgesetz.

    Hoffe das Volk der Griechen
    erkennt gegebene Möglichkeiten
    aus harter Arbeit
    für die Wiedervereinigung Deutschland.

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