Donnerstag, 21. Oktober 2010

Krisenbilanz: Chaos in Frankreich, Extremsparen in Großbritannien, Deflation in Japan, Angst vor Spekulationsblasen in China und Orientierungslosigkeit in den USA . . .


. . . hurra, die Krise ist vorbei, der Aufschwung ist da! Mit satten 3,2 Prozent, wenn nicht sogar 3,4 Prozent Wirtschaftswachstum - jedenfalls nach übereinstimmender Auffassung der führenden Wirtschaftsforscher und der Bundesregierung. Welcher Preis dafür gezahlt wurde, das sieht man vorerst primär woanders.


Wie sehr sich das Bild gewandelt hat.

Wie einträchtig zogen die Regierungen nach dem Einbruch der Finanz-märkte und der Weltwirtschaft noch an einem Strang - zumindest was die unmittelbare Abwendung des Schlimmsten anbelangte. Milliardenpakete wurden überall in den führenden und von der Krise schwer betroffenen Staaten für die Rettung von Banken, die Stabilisierung des Finanz-systems und anschließend für die Konjunkturankurbelung geschnürt. Und die Notenbanken pumpten fortlaufend ungeheure Mengen Geldes in die Märkte und senkten die Leitzinsen in Richtung Null - wobei es keine Rolle zu spielen schien, dass genau dieses Vorgehen zur Entstehung der Finanzmarktkrise erheblich beigetragen hat.

Nach den wirklichen Ursachen wurden nicht gesucht. Es wurden einfach dicke Schecks ausgestellt - zu Lasten der Steuerzahler. Niemand scherte aus, keine Regierung hatte ernste Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Maßnahmen. Alle glaubten, die Probleme auf diese Weise in den Griff zu bekommen.

Man feierte sich dafür, das globale Finanzmarkt- und Weltwirtschafts-system gerettet zu haben.

Niemand glaubt mittlerweile noch ernsthaft, dass die Regierungen es schaffen, die Finanzmarktakteure wirklich in die Schranken zu verweisen. Man will ihnen ja nicht ernstlich weh tun, es geht ja auch darum, ihr internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen. Sind sie also auf neue Turbulenzen vorbereitet? Können sie diese gar frühzeitig abwenden? Das ist fraglich. Immerhin: Die EU hat Anfang Mai die durch Griechenland ausgelöste Schuldenkrise wieder einfangen können - allerdings erneut mit sehr viel Geld und einer weiteren Lockerung der Geldpolitik.

Doch spätestens seit der Griechenland-Krise ist klar, dass die Probleme nicht gelöst, sondern unter extrem hohen Kosten lediglich von den Banken und der Wirtschaft auf die Ebene der Staaten verlagert wurde - zumindest zum Teil. Auch die Griechenland-Rettung war eine Banken-rettung. Trotzdem gärt es - aus altbekannten Gründen - an den Finanzmärkten wieder gefährlich. Und einmal abgesehen von den Schwellenländern und vom Zwischenhoch Deutschlands, auch die Wirtschaft dümpelt in den führenden Staaten immer noch vor sich hin. Der Ausblick ist keineswegs ermutigend. Denn die Konjunkturpakete laufen nach und nach aus.

Die Probleme sind seit Ausbruch der Finanzmarktkrise nicht kleiner geworden. Neuerdings herrscht jedoch weltweit Uneinigkeit, was zu tun ist, um aus diesem Schlamassel wieder herauszukommen. Sollen die Staaten, die die Staatsverschuldung wegen Bankenrettungs- und Konjunkturmaßnahmen in schwindelerregende Höhen getrieben haben, sparen oder noch mehr Geld ausgeben, um die Konjunktur in Gang zu bringen?

Die Uneinigkeit stellt eine Zäsur dar. Von nun an werden national unter-schiedliche Wege der Krisenbekämpfung beschritten werden - jeder kämpft für sich - und es ist sicher, dass dies nicht zur weltwirtschaftlichen Stabilisierung beitragen wird. Einmal deswegen nicht, weil nicht abgestimmte und mithin eben teilweise gegensätzliche nationale Krisenkonzepte die systemischen globalwirtschaftlichen Belange verletzen. Ferner aber auch deswegen, weil völlig unklar ist, ob die jeweiligen Krisenkonzepte erfolgreich sein werden, das heißt, ob sie die Wirtschaft wieder in Schwung bringen.

Schließlich muss man sehen, dass schon die erste Runde von Maßnahmen experimenteller Natur war, denn die Ökonomen vermochten zur Bewältigung der Probleme nichts wirklich Erhellendes beizutragen. Etwas Überzeugendes, Richtungweisendes, kommt von den Ökonomen nach wie vor nicht. Innerhalb der Notenbanken herrscht seit Wochen Uneinigkeit und nicht selten Streit über den richtigen Kurs. Man kann es auch als Unsicherheit interpretieren. Ähnliches gilt für die führenden Wirtschaftsforscher, die trotz der bekannten enormen Risiken für Finanz-märkte und Weltwirtschaft beispielsweise hinsichtlich des Wirtschafts-wachstums für Deutschland punktgenau dasselbe voraussagen - so als wäre die Zukunft so sicher wie die Bank von England.

Die Realität ist indes eine völlig andere: In Frankreich herrschen aufgrund von Protesten gegen die Sparpolitik und den wirtschaftspoli-tischen Kurs von Nicolas Sarkozy chaotische Zustände. China hat Angst vor Blasenbildung und Inflation und sorgt sich um den sozialen Frieden. Kurz vor den Kongresswahlen bieten die USA ein schaurig ungewohntes, von Streit, Orientierungslosigkeit und Hoffnungslsoigkeit geprägtes Bild. Japan kämpft ebenso verzweifelt wie erfolglos gegen den hohen Yen-Kurs, gegen die Deflation und die vor sich hin dümplende Wirtschaft - immer neue Konjunkturpakete werden aufgelegt, die Staatsver-schuldung steigt. Die liberal-konservative britische Regierung David Camerons wählt jetzt den entgegengesetzten Weg, den des drastischen Sparens: etwa 91 Milliarden Euro sollen in den nächsten Jahren eingespart werden, überall wird radikal gekürzt und gestrichen. Wie das von der Bevölkerung aufgenommen wird, bleibt abzuwarten. Die Bilder aufgebrachter Bürger Island, Irlands, Griechenlands, Portugals, Spaniens und Frankreichs, die für die verkorkste Politik und das von Banken angerichtete Desaster nicht zahlen wollen, kennen wir.

Es ist realistisch betrachtet kaum anzunehmen, dass sich irgendein Land in den Wohlstand sparen kann - das gilt für das Vereinigte Königreich ebenso wie für Island oder Griechenland. Heinrich Brüning hat das in der ersten Weltwirtschaftskrise versucht und ist damit gescheitert. Andererseits hat es bisher ebenso wenig funktioniert, die aktuelle Krise der Finanz- und Weltmärkte in keynesianischer Manier durch die Zufuhr von viel Geld zu überwinden. Dadurch wurde lediglich Schlimmeres verhindert, aber von einem nachhaltigen Wachstumskurs sind wir weiterhin weit entfernt.

Es wäre insofern an der Zeit konsequenterweise daraus den Schluss zu ziehen, dass in der vorliegenden Situation weder fortgesetztes "Deficit Spending" noch drakonisches Sparen wirklich helfen kann. Offensichtlich wurden die tieferen Ursachen der anhaltenden Krise noch nicht richtig erkannt. Erst wenn das der Fall ist, dürfte es wohl gelingen die richtige Medizin zu erstellen und die Krise zu überwinden.

Stattdessen wurde die nächste Runde des Experimentierens eingeläutet. Jetzt geht es nicht mehr ums Geldausgeben, sondern ums Sparen.

Irland und Griechenland haben bereits ihre Erfahrungen mit dem Sparen gemacht und es sieht nicht gut aus, für die Wirtschaft. Nun hat aber mit Großbritannien die erste große Volkswirtschaft den Start für einen extremen Sparkurs gegeben und die Konsequenzen werden weltweit sehr aufmerksam verfolgt werden. David Cameron sagt, das wäre alterna-tivlos. Keynes ist "Out" - das ist die Botschaft. Die japanische Regierung verfolgt seit Monaten den entgegengesetzten Kurs, den der kostspieligen Konjunkturstimulierung, und hält das - selbstredend - für den richtigen Ansatz. Die USA wiederum sind hin- und hergerissen zwischen diesen beiden Lösungswegen. Daran wird wohl auch der Ausgang der Kongresswahl nichts ändern. Aber vielleicht ist das sogar ein Vorteil. Denn immerhin gibt ihnen das die Möglichkeit, sich für einen neuen, dritten Lösungsweg zu entscheiden. Ob sie das tun, ist allerdings mehr als fraglich. Dazu müssten sie ihn ja auch erst einmal finden, nicht wahr?

Übersicht über empfohlene weiterführende Posts in diesem Blog

Zur grundlegenden Erklärung der tieferen Ursachen der Krise und der zu erwartenden Erfolglosigkeit keynesianischer und liberaler Konzepte sowie des Versuchs, die krise hauptsächlich von der geldpolitischen Seite her zu lösen:

Zu zentralen Schwächen und Hemmnissen der führenden neoklas-sischen, liberalen, monetaristischen und keynesianischen ökonomischen Schulen bezüglich des Erkennens und Erklärens der Krisenursachen:
Zu den wirtschaftssystemischen Ursachen der Krise und den Fehlern der Politik:
Prognose für die weitere Entwicklung auf den Finanzmärkten und der Weltwirtschaft, wenn sich nichts ändert:

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